Aus einer Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde aus 2004
2.2 Die Chemotherapie des Bronchialkarzinoms
2.2.1 Formen der Chemotherapie
Die Einführung einer systemischen Therapie der kleinzelligen Bronchialkarzinome mit Zytostatika konnte die Prognose deutlich verbessern. [35] Für die Chemotherapie dieses Karzinoms steht derzeit ein rundes Dutzend wirksamer Substanzen zur Verfügung. [35,
81] Hohe Remissionsraten (ca. 40 %) werden z. B. durch Ifosfamid, Vincristin, Etoposid und Carboplatin erreicht. [35]
Beim nicht kleinzelligen Bronchialkarzinom sind mit einer Chemotherapie bisher nur begrenzte Erfolge zu erzielen. [84]
Zur adjuvanten Therapie des nicht metastasierten nicht kleinzelligen Bronchialkarzinoms liegen Daten von randomisierten Studien vor, die Patienten unterschiedlicher Krankheitsstadien einschließen. [48, 49, 67, 84] Keine dieser Studien konnte einen signifikanten Überlebensvorteil der behandelten Gruppen gegenüber unbehandelten Kontrollen nachweisen. [84]
Die Frage zur Lebensqualität wird nur in wenigen Studien beantwortet. [58, 59, 66, 68, 69, 84]
Moreno [78] zeigte bei 47 Patienten mit nicht kleinzelligem Bronchialkarzinom, dass durch eine Chemotherapie bei über 50 % der Patienten, die über Schmerzen, Dyspnoe, Husten oder Gewichtsabnahme klagten, eine Abnahme der Symptome und Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden konnte. [35] Eine Entscheidung für die Chemotherapie beim nicht kleinzelligen Bronchialkarzinom hängt demnach weitgehend von der Einschätzung ab, ob der Gewinn an Lebenszeit und Lebensqualität die Beeinträchtigung durch die Therapie überwiegt. [84]
Der Einfluss der Chemotherapie auf die Lebensqualität bei nicht kleinzelligem Karzinom kann jedoch derzeit nicht abschließend beurteilt werden. [73]
Da der Anteil der kompletten Remission in der Monotherapie nur gering und die Remission auch nur von kurzer Dauer ist, wird die Zytostatikatherapie als Polychemotherapie durchgeführt.
Durch die simultane Gabe mehrerer Zytostatika ist es möglich, die Dosis der einzelnen Substanzen zu reduzieren, was auch mit einer Reduktion der Nebenwirkungen einhergeht.
Bei Patienten im schlechten Allgemeinzustand kann eine Monochemotherapie mit palliativer Zielstellung eingesetzt werden. Die Intensität der verschiedenen Chemotherapien und die damit korrelierte Toxizität muss den unterschiedlichen Zielsetzungen angepasst werden.
Man unterscheidet zwischen potentiell kurativem und palliativem Therapieziel.
Kurativ sind Behandlungen, die entweder im fortgeschrittenen metastasierenden Stadium in einem bestimmten Prozentsatz zur Heilung führen oder die als postoperative, adjuvante Chemotherapie die Heilungschancen nach einer Operation mit oder ohne Strahlentherapie statistisch signifikant verbessern. [20]
Als palliative Chemotherapie bezeichnet man alle Behandlungen, die zwar das Tumorwachstum eindämmen, die Tumorherde verkleinern und die Tumorbedingten Beschwerden bessern, die aber keine Chance haben, das Tumorleiden zu heilen. [20]
Unter kurativer Zielstellung erfolgt der Einsatz der Chemotherapie beim kleinzelligen Bronchialkarzinom im Stadium „limited disease“.
Das kleinzellige Bronchialkarzinom im Stadium „extensive disease“, das Rezidiv des nicht kleinzelligen Bronchialkarzinoms und das nichtoperable nicht kleinzellige Karzinom werden mit palliativem Therapieziel behandelt.
2.2.2 Nebenwirkungen der Chemotherapie
Patienten, die während des 1. Zyklus der Chemotherapie unter starker Übelkeit und Erbrechen leiden, entwickeln häufig Angst vor den nächsten Therapiezyklen.
Deshalb ist es wichtig, eine antiemetische Prophylaxe bereits mit dem 1. Zyklus zu beginnen und nicht abzuwarten, bis man antiemetisch therapieren muss.
Die durch die Zytostatika verursachte Alopezie wird von den Patienten meist gut toleriert, wobei Männer oft zu ihrer „Glatze“ stehen und diese besser akzeptieren, als Frauen. Ein rechtzeitig, zu Beginn der Chemotherapie und vor dem Haarausfall angefertigtes Haarteil trägt wesentlich zur Verbesserung der Lebensqualität bei.
Eine weitere auftretende Nebenwirkung ist die Polyneuropathie unterschiedlichen Grades, welche das Alltagsleben der Patienten stark belasten kann, wenn z. B. so einfache Dinge, wie das Zuknöpfen von Kleidungsstücken nicht mehr funktionieren und zusätzliche Schmerzen auftreten, die die Mobilität und die Betroffenen somit in ihrer Selbstständigkeit einschränken.
Je nach Zytostatikum, Dosis und Allgemeinzustand des Patienten kommt es zu einer Knochenmarkdepression mit Leukopenie, Thrombozytopenie, verbunden mit einer vermehrten Infektionsgefährdung, insbesondere durch gramnegative Erreger und Pilze oder einer erhöhten Blutungsneigung.
Aus diesem Grund müssen bei den Patienten mehrmals wöchentlich Blutbildkontrollen durchgeführt werden.
Durch die mehrfache intravenöse Gabe der Zytostatika, Antibiotika sowie ständigen Blutentnahmen entstehen bei den Kranken Venenverhältnisse, die eine einfache Venenpunktion kaum mehr möglich machen, so dass die durchgeführten, schmerzhaften „Versuche“, einen intravenösen Zugang zu legen bei den Patienten zusätzlich Angst vor der nächsten Therapie erzeugen. In solchen Fällen kann dem Patienten und auch dem behandelnden Arzt durch die Anlage eines venösen Portsystems geholfen werden.
Appetitlosigkeit, die einerseits durch das Tumorleiden, zusätzliche Infektionen und andererseits durch die Chemotherapie und Krankenhausatmosphäre hervorgerufen wird, kann bei den Betroffenen zu erheblichem Gewichtsverlust und deutlicher Verschlechterung des Allgemeinzustandes führen. Wunschkost, vitaminreiche und hoch kalorische Nahrung sollten deshalb zur Basistherapie bei Karzinompatienten gehören, nicht erst wenn der Patient abgemagert ist, sondern vom ersten Therapietag an, da der Gewichtsverlust einen prognostischen Faktor bei diesen Patienten darstellt. In besonderen Fällen muss eine hoch kalorische Nahrung auch über eine PEG-Sonde zugeführt werden.
Weitere, jedoch seltenere Komplikationen einer Chemotherapie sind das zytostatikainduzierte Lungenödem, der neuropathische Ileus und anaphylaktische Reaktionen. [73]
Das Risiko einer anaphylaktischen Reaktion kann durch eine entsprechende Prämedikation gesenkt werden. Auch dem Auftreten einer hämorrhagischen Zystitis sollte durch eine entsprechende Therapie vorgebeugt werden.
Die nephrotoxische Wirkung einiger Zytostatika kann durch eine erhöhte Flüssigkeitszufuhr reduziert werden. Bei der diesbezüglich im Rahmen der Chemotherapie durchgeführten „Vor- und Nachwässerung“ besteht bei insbesondere kardial vorbelasteten Patienten die Gefahr, einer akuten Herzinsuffizienz mit Kreislaufversagen. Deshalb ist auch in diesem Fall eine individuelle Therapiegestaltung wichtig.
Bei Chemotherapien mit kurativer Intention muss ohne Rücksicht auf kurzfristige Nebenwirkungen jenes Therapieregime angewandt werden, das mit der besten Aussicht auf Heilung verbunden ist. Dementsprechend sind die kurativen Chemotherapieregimes in der Regel sehr intensiv, weil sie in den maximal tolerierten Dosen und Intervallen verabreicht werden müssen, um das angestrebte Ziel zu erreichen.
Auf der anderen Seite fallen Spättoxitäten zytostatischer Behandlungen, die vor allem in induzierten Zweitneoplasien [76] und Infertilität bestehen, umso schwerer ins Gewicht, je höher die erzielte Heilungsrate ist. [19, 20]
Verbunden mit der Besserung von somatischen Beschwerden, aber manchmal auch unabhängig davon, ist die mit einer Tumortherapie erzielbare „psychische“ Palliation. Dazu gehören in erster Linie die Verminderung von Angstgefühlen, die Vermittlung von Hoffnung in einer grundsätzlich hoffnungslosen Situation und der solche Hoffnung vermittelnde Behandlungswunsch.
„Psychische“ Palliation kann eigentlich auch dann erfolgen, wenn die Behandlung keine objektiv fassbaren günstigen Wirkungen hat.
Rein schon das therapeutische Bemühen um den Patienten kann Palliation im Sinne einer Verminderung des Leidensdruckes bewirken. [20]
Insbesondere bei der Durchführung der Chemotherapie mit palliativem Therapieziel ist eine gute Risiko- Nutzenabwägung notwendig, da hier eine Heilung nicht mehr möglich ist und die Verbesserung der Lebensqualität durch Verminderung der Tumorsymptomatik im Vordergrund steht. Neben der „eigentlichen Therapie“ spielt die „supportive care“ eine große Rolle.
Die vorangegangenen Zeilen zeigen, dass die Tumortherapie nicht nur im Verabreichen von Zytostatika besteht, sondern dass es sich um ein komplexes Therapieprogramm handelt, um das Ziel - die Verbesserung der Lebensqualität der Karzinompatienten zu erreichen.
: https://web.archive.org/web/2021120904…05H019/prom.pdf