Der Wohlstand des gesamten Westens wurde insbesondere auf den günstigen Ressourcen der Ländern aufgebaut, die der Westen zu seinen Sklaven degradiert hat. Nach Ansicht mancher Analytiker passiert das heute sogar stärker als früher.
Irgendwie scheinst Du mit schöner Regelmäßigkeit bei diesem Thema Deinen Schuldkult pflegen zu wollen. Nur werden Deine Aussagen dadurch um keinen Deut besser, sieht die Wahrheit bei näherem Hinsehen doch etwas komplizierter aus.
Ja, es gab Kolonialismus durch europäische Länder, wovon Deutschland zeitlich gesehen, den kürzesten Anteil hatte. Und ja, es wurden Verbrechen gegen die Menschheit begannen. Nebenbei bemerkt auch von einem gewissen Robert Koch. (Da wir ja hier in einem Gesundheistforum sind, passt der Hinweis ganz gut)
Aber der Hinweis, der Westen habe seinen Wohlstand insbesondere nur durch das Ausbeuten anderer Länder geschaffen, ist absurd.
"Reicher Mann und armer Mann standen da und sah´n sich an.
Und der Arme sagte bleich: Wär´ ich nicht arm, wärst du nicht reich."
So die vielzitierte Aussage Bertold Brechts aus dem Jahr 1934.
Nur - stimmt diese Logik überhaupt? Kann Reichtum nur geschaffen werden, wenn jemand etwas verliert? Sind die Reichen nur reich, weil die Armen arm sind? Weil der eine das hat, was der andere nicht hat? Ist der Wohlstand tatsächlich wie ein Kuchen, wovon jemand ein grosses Stück abschneidet, wodurch für den anderen weniger übrigbleibt?
Bei solchen Debatten wird - wie auch von Dir mit schöner Regelmäßigkeit - immer wieder auf die Kolonialzeit verwiesen. Ab dem späten 15. Jahrhundert begannen Europas Kolonialmächte, die Rohstoffe und Bewohner der eroberten Gebiete für ihre Wirtschaft zu nutzen. Spanien baute Gold und Silber in den Anden ab. Portugal holte Zucker aus Brasilien. Frankreich gewann Mineralien in Westafrika. England verschiffte Baumwolle, Getreide und Tee in die Heimat.
Die lokale Bevölkerung wurde versklavt. Der Mensch verkam zur Ware. Zwar gab es Leibeigenschaft schon immer, etwa im antiken Rom oder kaiserlichen China. Doch mit dem Kolonialismus nahm der Menschenhandel eine neue Dimension an. Millionenfach wurden die angeblich «Wilden» von Afrika in die Kolonien Amerikas verschifft. Laut Schätzungen starben 15 Prozent bei der Überfahrt.
Der auf diese Weise angehäufte Reichtum basierte zweifellos auf dem Elend anderer. Daraus lässt sich aber keine direkte Linie zur Gegenwart ziehen.
Aber was ist dann mit der industriellen Revolution, die in der zweiten Häfte des 18. Jahrhunderts begann? War diese nicht begründet durch den Kolonialismus? Jene Revolution also, die im Westen den Übergang zu modernem Wirtschaftswachstum einleitete und breiten Bevölkerungsschichten grosse Verbesserungen brachte bei Einkommen, Bildung und Gesundheit? Unter Historikern ist dies ziemlich umstritten.
Vieles spricht nämlich gegen eine direkte Verbindung:
So wurde die industrielle Revolution durch Innovationen ausgelöst, die wenig mit den Kolonien zu tun hatten. Weder die Dampftechnologie noch die Stahlverarbeitung sind koloniales Raubgut. Auch die Behauptung, nur dank Ausbeutung der Kolonien sei die Industrialisierung finanzierbar gewesen, überzeugt nicht. Hierzu war beispielsweise Englands damaliger Handel mit Kolonien viel zu klein.
Und Deutschland?
Schauen wir uns als Beispiel mal den Bergbau an, gehen wir dazu mal in den Harz:
Im Harz wurde schon seit dem Mittelalter systematisch geschürft, am Rammelsberg in der Nähe von Goslar bereits mindestens seit dem Jahr 968.
(Der Name Goslar entstammt übrigens dem weiblichen Vornamen Gosa und Gosa war die Ehefrau des Ritters Ramm, der während einer Jagd auf ein Stück Silbererz stieß und dort dann eine Silbermine bauen ließ, daraus entstand der Ort Rammelsberg)
Abgebaut wurden Bleierz, Kupfer, Zinn und vor allem das begehrte Silbererz. Und zwar Jahrhundertelang. Der Rammelsberg war berühmt für seine neu angewandte Technik des Seigens. Seine Metalle, zuletzt das massiv nachgefragte Blei, wurde in weit entfernte Regionen verkauft.

"Schwarze Höhle. Erleuchteter Kamin. Flammen, Geprassel. Rauch, Zug, Glut. Funken sprühen, Knall, dumpfes Getöse der springenden Felsen." So beschrieb damals Goethe als Bergbaumeister 1784 seine Eindrücke des Feuersetzens in Thüringen in einem Stollen des Harzer Bergwerks Rammelsberg.
Doch zurück zum Kolonialismus.
Mancher Vorwurf ist begründet. Wahr ist aber auch, dass die Ungleichheit zwischen den Ländern sinkt. Wie der Armutsforscher Branko Milanovic zeigt, haben die ärmeren zwei Drittel der Welt ihre Lage seit den späten 1980er Jahren stark verbessert. Dies auch deshalb, weil in bevölkerungsreichen Ländern wie beispielsweise Indien eine neue Mittelschicht herangewachsen ist.
Wer wachsende Ungleichheit sucht, findet sie mittlerweile nicht mehr primär zwischen Nord und Süd, sondern innerhalb reicher Staaten wie den USA, wo der Mittelstand kaum noch vorankommt.
Die Länder des «globalen Südens» holen derweil auf. Die Einkommen der Armen steigen prozentual stärker als jene der Reichen.
So ist die Zahl jener, die mit weniger als 2.15 Dollar pro Tag auskommen müssen, von 2 Milliarden zu Beginn der 1990er Jahre auf ca. 700 Millionen gesunken, über die Hälfte davon lebt im subsaharischen Afrika.
700 Millionen extrem arme Menschen bleiben dennoch ein humanitärer Skandal. Anerkennen muss man allerdings auch, dass das Vorankommen der Industrieländer im Zuge der Globalisierung nicht auf Kosten der Entwicklungsländer ging. Der Kuchen hat sich weltweit vergrössert. Nord und Süd wachsen gemeinsam – vor allem dort, wo die Institutionen stimmen, wo es also eine gewisse Rechtssicherheit gibt, einen Schutz von Personen und Eigentum, eine gute Regierungsführung und eine Kultur, die Leistung honoriert.
Abschließend nochmal zum oben angeführten Zitat von Brecht. Diese These wird wie erwähnt immer wieder aufgegriffen, sollte aber in sehr kreativer und treffender Form weitergeführt werden hin zu einem Fazit:
„Wärst du nicht arm, wär‘ ich dann reich?“
Das fragt der Reiche und sieht ein:
Wenn sich bemüh´n zugleich,
dann können beide reicher sein.“
Also hör auf, uns ständig Deinen Schuldkult aufzwingen zu wollen.