Xanthopsia ist eine Störung der Farbwahrnehmung. Dabei erscheint dem Patienten die ganze Welt in einem gelbstichigen Ton. Ausgerechnet der geniale Maler Vincent Van Gogh musste damit zurechtkommen.

Wahrscheinlich ist die Fehlsichtigkeit aber der Grund für einige Gemälde des Künstlers mit recht extravaganter Farbgebung. Heute glauben Wissenschaftler, die Ursache für van Goghs Mal Malaise zu kennen: er bekam von seinem Arzt Digitalis-Präparate vom Fingerhut. Wahrscheinlich hatten die Herzglycoside die Nebenwirkung  verursacht.

Leider sind die Fallberichte solcher „side effects“ nur selten mit launigen Anekdoten verbunden. Schon Magen-Darm-Beschwerden, Ekzeme und Kopfschmerzen können das Leben zur Qual machen.

Manchmal kommt eine Nebenwirkung über Umwege zustande, sodass die Ursache, wenn überhaupt, lange gar nicht erkannt wird. So können Medikamente dazu, dass Vitamine nur unzureichend aufgenommen werden. Dann  sind die Effekte so vielfältig, dass nach etlichen Grunderkrankungen geforscht wird, die mit der eigentlichen Ursache gar nichts zu tun haben.

Nebenwirkungen: oft lebensgefährlich

Richtig gefährlich wird es bei Atemwegsverengungen und Atemlähmungen, bis zu Herzstillstand können die unbeabsichtigten Folgen einer Medikation reichen. Ein tödliches Kreislaufversagen blieb van Gogh erspart. Auch das riskierte der Künstler bei einer Überdosierung seiner Fingerhut-Präparate.

In Erinnerung ist vielen noch das Contergan-Trauma der 1960er Jahre. Das Schlafmittel verursachte schwere Behinderungen bei Neugeborenen.

Diese Beispiele sind nur einige wenige von über 1.600 dokumentierten Nebenwirkungen von Medikamenten. In Anbetracht dieses Ausmaßes ist es nicht verwunderlich, dass viele Menschen nur deswegen ins Krankenhaus müssen, weil sie ein Medikament nicht vertragen. Darauf gehe ich in meinem Beitrag  Medikamente – Nebenwirkung Tod) näher ein.

Krankenkassen schlagen Alarm

Studien aus Skandinavien und der Schweiz zeigen, dass bis zu 5 % aller Todesfälle mittlerweile auf Nebenwirkungen zurückgehen! Diese Tatsache wird Dunja Kleis von der Barmer Rheinland-Pfalz und Saarland nicht müde zu betonen. Dass auch in Deutschland die Arzneimittelsicherheit zu wünschen übrig lässt, belegt eine Untersuchung der Krankenkasse.

Jedes Jahr veröffentlicht die Barmer einen Report über Gefahren unpassender Medikationen. Den Versicherern machen besonders die Risiken von Überdosierungen und Wechselwirkungen Kopfzerbrechen. Oft wird ein Medikament bei einem Arztwechsel einfach „verlängert“, ohne dass eine Diagnose-Erstellung vorliegt. Ein Beispiel sind die Protonenpumpen-Hemmer, die gegen Sodbrennen helfen sollen. 2016 nahmen 20% der Rheinland-Pfälzischen Barmer-Versicherten dieses Medikament ohne aktuellen Befund. 

Der Arzt muss den Patienten aufklären – und umgekehrt!

Um Wechselwirkungen bei Mehrfach-Medikationen überhaupt einschätzen zu können, muss der Arzt erst einmal wissen, welche Mittel ein Patient überhaupt nimmt. Dazu sollte jeder beispielsweise beim Facharztbesuch einen Medikations-Plan dabei haben. Den Krankenkassen wäre es am liebsten, wenn alle Versicherten der elektronischen Krankenakte zustimmen. Ob nun jeder will, dass Diagnosen und Anamnese zum wiederholten Male abgespeichert und abrufbar sind, ist eine andere Frage…

Eine weitere Frage ist, ob Ärzte überhaupt über sämtliche Wechselwirkungen Bescheid wissen. Dunja Kleis vertraut dabei auf die Apotheker, die jeder Patient zusätzlich zurate ziehen kann.

Neben- und Wechselwirkungen: eine Komplexe Materie

Freilich sind die Nebenwirkungen nur schwer vorauszusehen… Zwar müssen bestimmte Tests durchgeführt werden, um die Sicherheit einer neuen Substanz in der vorklinischen Phase bestimmen zu können.

In der Realität sieht es aber eher so aus, dass die meisten Nebenwirkungen erst dann entdeckt werden, wenn die Substanz schon zugelassen und in den allgemeinen Verkehr gekommen ist. Und dann dauert es noch Jahre, bis die „Black-Box Mensch“ ihre pharmakologischen Geheimnisse preisgibt. Selbst dann ist das Wissen über die genauen Vorgänge im Körper nur unvollständig bekannt.

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Eine Studie sollte Klarheit bringen

2013 erschien dazu eine Studie aus dem Forschungsinstitut für Biomedizin (IRB Barcelona) in Barcelona. Mit der Arbeit versuchten die Autoren, Ordnung in das Dickicht der Nebenwirkungen zu bringen. Ziel der Studie war es dabei, die molekularen Grundlagen für die unerwünschten Effekte zu beschreiben. Dies sollte Pharmakologen helfen, bessere und sicherere Medikamente zu entwickeln  und deren Wirksamkeit vorauszusagen.

Die Studie sammelte und kategorisierte  Hypothesen über molekulare Prozesse für insgesamt 1.162 Nebenwirkungen. Die Autoren Miquel Duran und Patrick Aloy stellten alle  Medikamente zusammen, die bekannte Nebenwirkungen verursachen. Dann betrachteten sie die chemische Struktur der Proteine, mit denen die Wirkstoffe  interagierten.

Biologische und chemische Aspekte

Studienleiter Patrick Aloy resümiert: „Für die meisten Nebenwirkungen haben wir eine biologische Hypothese. Und für viele dieser Fälle haben wir auch chemische Informationen über die Substanz, was nützlich ist, um die spezifischen Sekundäreffekte vorauszusagen“,

Von den 1.162 Nebenwirkungen, für die sie eine molekulare Charakterisierung gefunden hatten, konnten 446 Nebenwirkungen alleine auf biologischer Basis und 68 nur auf chemischer Basis erklärt werden. 648 Nebenwirkungen oder 56 Prozent hatten sowohl eine biologische als auch eine chemische Basis als Ursache.

Ein paar Beispiele gefällig?

Zwei Beispiele: Xanthopsia und das orobuccolinguale Syndrom

Eine der beschriebenen Nebenwirkungen ist das orobuccolinguale Syndrom oder Spätdyskinesie. Das ist eine Störung, bei der es zu unkontrollierten Bewegungen von Gesicht, Körper und Gliedmaßen kommt.  Diese Nebenwirkung wird von sechs Medikamenten ausgelöst.

Die Forscher gehen davon aus, dass Medikamente, deren Struktur einen Piperazinring (kommt in vielen Neuroleptika vor) enthält, die Beschwerden verursachen. Wenn die Pharmaka mit bestimmten Nerven-Rezeptoren (5-HT2A und/oder DRD2) interagierent, lösen sie höchstwahrscheinlich Spätdyskinesien aus. „Dies ist ein Beispiel, wo die Ursache auf einer biologischen und chemischen Basis begründet ist“, betont Miquel Duran-Frigola, der an der Studie beteiligt war.

Eine andere  Nebenwirkung, die hier beschrieben ist, ist das „Gelbsehen“, an dem auch van Gogh litt. Die früher vertretene Meinung, veränderte Pigment-Proteine in der Netzhaut seien für den Effekt verantwortlich ist, gilt als widerlegt.

Denn längst ist ja bekannt, dass es sich um eine Medikamenten-Nebenwirkung handelt. Doch es ist nicht nur van Goghs Digitalis-Präparat, das hier infrage kommt. Mittlerweile werden 12 Medikamente mit dieser Störung in Zusammenhang gebracht.

Die Forschung muss vorangetrieben werden

Für die Wissenschaftler der spanischen Studie ist es eine Notwendigkeit, biologische und chemische Methoden miteinander zu kombinieren, um feststellen zu können, wo die Ursachen für die Entstehung von Nebenwirkungen liegen.

„In der Praxis gibt es für jeden unerwünschten Effekt einen biologischen Part, der bekannt ist. Aber dieser Ausschnitt bietet keinen Einblick in das komplette Bild der verursachenden Mechanismen. Vielleicht werden wir in der Lage sein, diese Lücke zu füllen, indem wir die chemischen Strukturen näher unter die Lupe nehmen“, kommentiert Duran (https://www.sciencedaily.com/releases/2013/04/130419075920.htm).

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Beitragsbild: pixabay.com – Matvevna

Der Beitrag wurde 2013 erstmals erstellt und von mir am 20.1.2019 überarbeitet und ergänzt.