Rezeptfreie Medikamente für Kinder sind kein Kinderspiel

Es gibt eine ganze Reihe von rezeptfreien Medikamenten für Kinder – vor allem gegen Erkältungen: Hustensäfte, Schnupfenmittel, Fiebersenker und einige mehr. Diese gibt es zum Teil rezeptfrei in jeder Apotheke zu kaufen. Wir gehen natürlich davon aus, dass diese Medikamente nicht nur helfen, sondern auch sicher sind.

Leider wird dieses Sicherheitsgefühl ausgerechnet vom „Deutschen Ärzteblatt“ (Bd. 37, S. 1822) empfindlich gestört. Denn hier meldet sich die Kommission für Arzneimittelsicherheit im Kindesalter der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin zu Wort.

Grund für Bedenken sind die zum Beispiel „Antihistaminika der ersten Generation“, die früher bei Heuschnupfen und anderen Allergien gegeben wurden und so herrlich müde machten. Grund für die Müdigkeit war ein relativ unselektiver Wirkmechanismus gegenüber H1-Rezeptoren, die für die Allergie zuständig sind, und anderen Histaminrezeptoren (H3) im Gehirn. Bei Kindern kam es dann tagsüber zu Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Benommenheit und sogar Krämpfen und Halluzinationen.

Bei den Kleinsten dagegen können die Nebenwirkungen noch gravierender ausfallen: Herz-Kreislauf-Kollaps und lebensbedrohliche Dämpfung der Atemfunktion. Daneben gibt es noch eine Reihe anderer Nebenwirkungen, weshalb die alten Präparate bei den Erwachsenen keine Anwendung mehr finden. Für die Kinder und Kleinkinder jedoch sind die alten Kamellen gerade gut genug. Denn sie bringen die unruhigen, quengelnden Kinder zur Ruhe, lassen sie schlafen und verhindern Erbrechen. Und sie sind bequem ohne ärztliches Rezept zu haben. Doxylamin ist ein solcher Stoff, der in einer Reihe von rezeptfreien Präparaten vorkommt.

Zäpfchen oder Säfte gegen Erbrechen und Übelkeit enthalten die Substanzen Diphenhydramin und Dimenhydrinat. Als Nebenwirkungen sind für die beiden Substanzen bekannt die Einschränkung des Sekretflusses in den Speicheldrüsen und der Lunge, was in Mundtrockenheit, Atemstörungen und Verstopfung resultieren kann. Aber auch die Blasenentleerung kann gestört sein und es sind sogar Herzrhythmusstörungen beschrieben worden. Ein wahrer „Medizinschrank“ ist in dem Präparat „Wick MediNait“ zu verzeichnen. Das Präparat enthält Doxylamin, Ephedrin, Dextromethorphan und Paracetamol. Bei so vielen verschiedenen Substanzen muss das Kind ja sofort gesund sein, oder?

Leider ist dem nicht so. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Sie verfügen über einen anderen Stoffwechsel als Erwachsene und werden deshalb auch diese „rezeptfreien“ Stoffe anders metabolisieren als dies bei einem Erwachsenen der Fall ist. In der Regel reagieren Kinder und besonders Kleinkinder und Säuglinge  empfindlicher auf solche Medikamente, so dass es leicht zu Vergiftungserscheinungen kommen kann.

Es besteht auch die Neigung, diesen Kindern ein deutliches Mehr an Erkältungsmitteln, Hustenblockern und Antibrechmitteln zu verabreichen, da die Eltern (und vielleicht auch die Kinderärzte) die rezeptfreien Präparate als unbedenklich erachten. Frei nach dem Motto: Rezeptfrei = sicher. Und in diesem frühen Lebensalter sind die Kinder zudem häufiger von derartigen Infektionen betroffen, da das Immunsystem noch nicht ganz ausgereift ist. Da wird für die beruflich geplagten Eltern die Erkrankung des Jüngsten zur Geduldsprobe und vielleicht zur Plage, die man mit einem rezeptfreien Schlaftrunk auf Antihistaminbasis in ihre Schranken verweisen kann, wann immer sie auftritt.

Leider scheint es keine konkrete gesicherte Daten für Vergiftungsfälle auf Basis rezeptfreier Medikamente zu geben, nicht zuletzt weil die Erfassung hier besonders schwierig ist. Es gibt eine erste Recherche, die bei verschiedenen Giftinformationszentren (GIZ) durchgeführt worden ist und Vergiftungsfälle durch Altantihistaminika untersucht hat. Ein erstes Ergebnis von GIZ-Nord in Göttingen lautet:

Vergiftungen durch Diphenhydramin und Dimenhydrinat sind von 1996 bis 2011 jährlich von zwölf auf achtzig Fälle angestiegen. Betroffen waren Säuglinge und Kinder von bis zu 9 Jahren. Bei Kindern über 9 Jahren, Jugendlichen und Erwachsenen gab es diesen Trend nicht. Andere Giftnotrufzentralen bestätigen diese Beobachtungen.

In den USA, dem Land der unbeschränkten Einnahme-Möglichkeiten, zeigt sich ein neuer Trend: Fast die Hälfte der Notaufnahmen aufgrund von Vergiftungen durch Hustensäfte und Erkältungsmittel im Jahr 2008 beruhte auf einer beabsichtigten Überdosierung dieser „sicheren“ und rezeptfreien Medikamente bei Kindern unter 2 Jahren. Die Gründe für die beabsichtigte Überdosierung sind nur zu vermuten. Sehr wahrscheinlich schmecken die Zubereitungen so gut, dass das Kind sie als Süßigkeit verkennt und häufiger als vertretbar einnimmt (Kinder haben in diesem Alter kaum Selbstmordabsichten, schon gar nicht in dieser Häufigkeit).

Ich wundere mich noch immer, warum man zum Beispiel „alte“ Substanzen (Althistaminika), die bei den Erwachsenen ausgedient haben, immer noch für unsere Kinder gut genug sind, obwohl die schutzbedürftiger sind (auch bei Medikamenten), als Erwachsene. Denn wenn diese Medikamente in Deutschland rezeptfrei sind, heißt das noch lange nicht, dass die gleichen Präparate überall auf der Welt rezeptfrei und damit sicher sind.

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Beitragsbild: pixabay.com – Pexels

René Gräber

René Gräber

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2 Kommentare Kommentar hinzufügen

  1. Avatar

    Hallo Herr Gräber, mit Interesse lese ich alle ihre Berichte und stimme ihnen zu, ich selbst versuche auch ohne Medikamente auszukommen. Mein Enkel 8 Jahre alt mit Schulschwierigkeiten muss schon bei einem Körpergewicht von 20 kg – 30 evtl. auch jetzt schon 40 mg Medikinet Retard zu sich nehmen. Der behandelnde Prof. ist der Meinung 2 Jahre ohne Pause durchnehmen und dann braucht er kein Ritalin mehr. Mit dieser Situation komme ich nur schlecht zurecht. Mein Enkel ist dann ganz in sich gekehrt, seine Persönlichkeit ist weg und er lacht nicht mehr. Mein Sohn findet das normal und leider kennt er jemanden der Ritalin seit seiner Schulzeit 1. Klasse zu sich genommen hat und das jeden empfehlen würde. Bin gespannt auf ihre Meinung zu Ritalin – Viele Grüße Brigitte

  2. Avatar

    Liebe Brigitte,
    Ich mache ähnliche Beobachtungen: zahlreiche Kinder wirken in ihrem Wesen völlig verändert, genau so wie sie es beschreiben: die „Lebensfreude“ scheint scheinbar weg zu sein. Das Gesicht wirkt manchmal sogar maskenhaft. Ich halte die Ritalin Behandlung in zahlreichen Fällen für völlig unangebracht. Da machen es sich einige Eltern viel zu leicht. Aber nach Jahren der „Fehlentwicklung“: zu wenig Bewegung, unklare familiäre Situation, Medienkonsum (Computer, Fernsehen), Handy und natürlich die Ernährung: Zucker, Azzofarbstoffe und noch einige Nettigkeiten, ist das der „Letzte“ Ausweg für viele Eltern. Aber: was will man machen?

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